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H2 ist keine Zauberlösung

Die Schweizer Wirtschaft wäre bereit, beim Thema Wasserstoff loszulegen, aber da Strategie und oft auch Regulatorien fehlen, geht’s nur schleppend voran. Am Schweizer Wasserstoff Kongress 2024 forderte man daher zwingend eine Anbindung an den europäischen Hydrogen Backbone, der im Moment aber um die Schweiz herumzuführen droht, und zudem eine Gesamtversorgungs-Perspektive. Denn eines ist klar: mit H2 allein ist es nicht getan, es braucht alle erneuerbaren Gase und auch grünen Strom, um die Energiewende zu schaffen.

Rund 200 Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik waren am Schweizer Wasserstoff Kongress 2024 dabei. Quelle: CNG-Mobility

Etwa 42’500 Unternehmen und die Interessen von 40 Branchenverbänden werden durch den Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, der aeesuisse, vertreten. Sie alle müssen teils ambitionierte Klimaziele erreichen, denn Politik und Gesellschaft wollen, dass man möglichst rasch «grüner» wird. Kein Wunder, ist das Interesse gross, wie es bezüglich der Nutzung von Wasserstoff (H2) und dessen Rolle auf dem Weg hin zur Klimaneutralität bis 2050 weitergehen soll – in Europa und natürlich insbesondere in der Schweiz. Rund 200 Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik trafen sich daher kürzlich in Yverdon-les-Bains VD zum Schweizer Wasserstoff Kongress 2024.

Planungssicherheit und Regulatorien gefragt
Schliesslich will man gemeinsam einen Weg hin zu einer nachhaltigen Energiepolitik einschlagen. Laurent Scacchi, Direktor Westschweiz von aeesuisse, macht dabei gleich zum Auftakt klar: «H2 ist keine Zauberlösung, aber nimmt eine wichtige Rolle auf dem Weg hin zur Klimaneutralität ein.» Die Debatten müssten technologieoffen geführt werden, denn die Wissenschaft sehe nicht für alle Lösungen H2 als ideales und probates Mittel an. Und Vassilis Venizelos, Staatsrat des Kantons Waadt, ergänzte: «Ein Wandel muss koordiniert und überlegt erfolgen. Dann kann grüner H2 künftig eine wichtige Rolle einnehmen.»

Die Pläne für das europäische Wasserstoffnetz gemäss der Initiative European Hydrogen Backbone. Quelle: EHB

Für eine sichere Energieversorgung müssten sich Versorgungsnetz, Speicherung und Transport von Energie ändern. «Hier warten wir bei den Kantonen schon fast ungeduldig auf die erste Wasserstoff-Strategie des Bundes», ergänzte Venizelos. «Denn der Aufbau des H2-Netzes in Europa hat längst angefangen und es ist wichtig, dass wir ebenfalls ein Teil davon sind. Dazu muss die Rolle des H2 im künftigen Energiesystem der Schweiz festgelegt werden und es braucht Planungssicherheit und Regulatorien, die sich nicht alle paar Wochen oder Monate ändern.»

Anbindung an Hydrogen Backbone zwingend
Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie VSG, wies dann darauf hin, dass das Bewusstsein langsam Einzug in die Politik gehalten habe und es nicht nur Klimaneutralität brauche, sondern eben auch Versorgungssicherheit sowie die Wirtschaftlichkeit des Systems. «Wir brauchen alle erneuerbaren Energien und müssen Wasserstoff als Teil eines Gesamtenergiesystem betrachten. Wir werden Infrastruktur benötigen und wir werden kurzfristige und auch saisonale Speicher brauchen», erläuterte sie. Inzwischen gebe es rund 40 Länder, die eine H2-Strategie haben, teils sogar eine revidierte, doch die Schweiz sei in Europa bezüglich Wasserstoff ein weisser Fleck.

Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie VSG, zeigte in Yverdon-les-Bains die Bedeutung von erneuerbaren Gasen, wie Biogas und grünem Wasserstoff, für die Energieversorgung auf. Quelle: CNG-Mobility.ch

«Immerhin arbeiten wir an einer Strategie. Sie soll Ende 2024 kommen und wird wichtig sein, um die Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung festzulegen», ergänzte Decurtins. Selbst wenn beim Wasserstoff die Musik ausserhalb von Europa spielen werde, brauche es die Anbindung an die Transitleitung, den sogenannten Hydrogen Backbone. Nur: Diese fehlt in der europäischen Planung 2030 und 2035 und kommt frühestens 2040. «Das wird viel Geld kosten, aber ist eine wichtige Investition in den Standort Schweiz», machte die VSG-Direktorin unmissverständlich klar.

In Yverdon-les-Bains wollten sich viele über den aktuellen Stand zum Thema Wasserstoff in der Schweiz updaten lassen. Quelle: CNG-Mobility.ch

Gasversorgung wird immer grüner
«Wir müssen eine Anbindung an die Importrouten für H2 haben», erklärte Daniela Decurtins. Sie erläuterte zudem, dass die Konstante der Schweizer Gasindustrie nicht etwa das Gas selbst sei, sondern das Leitungs- und Transportnetz von über 20’000 Kilometern. «Das Gas wird immer erneuerbarer und die erste Biogaseinspeisung weltweit fand schliesslich in der Schweiz statt! Mit einem Biogasanteil von fast 10 Prozent haben wir nach Dänemark die zweitgrünste Gasversorgung in Europa. Ein Fakt, der von der Politik noch nicht anerkannt wird», so Decurtins. Die Schweizer Gasindustrie habe auch bezüglich Biogas mit aktuell 44 Produktionsanlagen, aber auch der grünen CO2-Produktion sowie CC-Projekten, viel zu bieten, aber man brauche eben auch eine Wasserstoffstrategie, «nicht eine losgelöste, sondern eine ins ganze Energiesystem integrierte! Und es braucht auch die Möglichkeit des Handels von erneuerbaren Energien und H2 und somit ein Herkunftsnachweisssystem!»

Das H2-Ökosystem, das in der Schweiz aktuell von rund 50 Brennstoffzellen-LKW genutzt wird. Quelle: CNG-Mobility.ch

Neben Hyundai bald auch Iveco und Scania mit H2-Antrieb
Wie vielfältig die Anwendungsmöglichkeiten für Wasserstoff heute schon sind, offenbarte danach unter anderem Nicolas Crettenand. Der Geschäftsführer von Hydrospider bot Einblicke in das bereits seit 3,5 Jahren funktionierende H2-Ökosystem, für das sein Unternehmen in Niedergösgen mit einem PEM-Elektrolyseur grünes H2 produziert und dieses in Containern zu den inzwischen 17 Wasserstoff-Tankstellen schweizweit transportiert. «48 Hyundai-LKW sind in der Schweiz damit klimaneutral unterwegs. Vier Iveco mit Wasserstoffantrieb werden dazukommen, ausserdem fahren auch einige LKW aus dem süddeutschen Raum zu uns zum Tanken.»

Nicolas Crettenand, Geschäftsführer von Hydrospider, sprach auch von den Herausforderungen bei der Nutzung von H2 für die Mobilität. Quelle: CNG-Mobility.ch

Bald rollen zudem die ersten vier Scania-Brennstoffzellen-LKW in die Schweiz, die sich in ganz unterschiedlichen Umgebungen bewähren müssen: Bei der Emmi Schweiz AG, einem Molkereiunternehmen, bei der Genossenschaft Migros Zürich im Detailhandel, bei der Gysin Tiefbau AG, die vor allem in der Region Basel schwere Maschinen transportiert, sowie bei der Traveco Transporte AG, einem nationalen Logistik-Unternehmen. Seit dem Produktionsstart 2020 hat Hydrospider bereits 850 Tonnen grünen H2 hergestellt. Damit spulten die Wasserstoff-LKW über neun Millionen Kilometer ab und sparten dabei gegenüber Diesel-Trucks 7200 Tonnen CO2 ein.

Alliance H2 ins Leben gerufen
«Wichtig war für unser H2-Ökosystem mit dem Pay-per-Use-System der LKW, dass wir keine LSVA zahlen mussten und bis 2031 müssen, um das Ganze wirtschaftlich starten zu können», so der Hydrospider-Geschäftsführer. «Wir müssen aber insgesamt schneller werden, wenn wir die Dekarbonisierungsziele erreichen wollen. Daher haben wir die Alliance H2 ins Leben gerufen, um als Akteure in Bern eine gewichtigere Stimme zu erhalten.» Crettenand sieht eine grosse Herausforderung vor allem beim Transport und bei der Speicherung von Wasserstoff. Er ergänzt: «Wir glauben, dass es mehrere technische Lösungen geben wird, die jedoch alle mit grünen Molekülen oder grünen Elektronen gefüttert werden müssen.»

Jonathan Vouillamoz vom Bundesamt für Energie BFE. Quelle: CNG-Mobility.ch

Noch kaum Wasserstoffnutzungen
Doch noch tut sich seitens des Bundes wenig, das musste auch Jonathan Vouillamoz vom Bundesamt für Energie BFE eingestehen. Der Spezialist für Energieversorgung erklärte: «Im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere unseren Nachbarstaaten, haben wir in der Schweiz kaum Wasserstoffnutzungen.» Dort sei H2 klar wichtiger, nicht nur bezüglich Versorgungssicherheit, sondern vor allem auch für die Dekarbonisierung der dortigen Schwerindustrie. Durch das Postulat Candinas 20.4709 aus dem Jahr 2020 habe man beim Bund jedoch die Nutzung, den Transport und die Produktion von Wasserstoff für die Schweiz abklären müssen. Der Bericht zeige nun, dass bis 2030 in allen Szenarien sozusagen nichts passiere. «Wichtig ist, dass das CO2-Gesetz kommt, über das wir im Juni abstimmen. Es wird die Türe aufstossen und die ganzen Projekte bei den erneuerbaren Energie anstossen», ist der BFE-Experte überzeugt. Schub erwartetet er auch durch das für Januar 2025 geplante Gasregister und das für Januar 2027 angedachte Gasversorgungsgesetz.

Baumaschinen-Spezialisten Liebherr profitiert in Bulle bald von lokal hergestelltem Wasserstoff. Quelle: CNG-Mobility.ch

Bereits in der Umsetzung begriffen
So lange warten wollen aber längst nicht alle. Patrick Sudan, Gruyère Hydrogène Power SA, zeigte etwa auf, dass Cluster-Lösungen, wo der Wasserstoff nicht über weite Distanzen transportiert wird, sondern ganz in der Nähe der Herstellung seine Abnehmer findet, durchaus spannend sein könnten. Zusammen mit dem in Bulle ansässigen Baumaschinen-Spezialisten Liebherr produziert man dort in der GESA-Fernwärmezentrale, die mit weiteren PV-Anlagen bestückt und um den H2-Komplex ergänzt wurde, bald H2. Denn Liebheer ist davon überzeugt, dass der Verbrennungsmotor eine sehr wichtige Antriebslösung im Schwer- und Off-Highway-Bereich bleiben werden, weil diese oft in teilweise recht batteriefeindlichen Regionen im Einsatz sein müssten. Und mit grünem H2 könnten auch diese schweren Baumaschinen klar klimafreundlicher arbeiten.

Spannende Podiumsdiskussionen hier mit Patrick Sudan (Gruyère Hydrogène Power SA), Nicolas Crettenand (Geschäftsführer von Hydrospider), Benjamin Corbat von H2Bois und Moderatorin Nathalie Randin vertieften das Wissen (v.l.n.r.). Quelle: CNG-Mobility.ch

Wenn aus Holz auch Wasserstoff wird
Danach zeigte Benjamin Corbat von H2Bois, wie im Jura Nebenprodukte der Pelletproduktion und Altholz dazu genutzt werden, um dank eines Thermolyse-/Pyrolyse-Prozesses grünen Wasserstoff zu gewinnen. «Rund 1,4 Millionen Kubikmeter an Holz werden heute noch nicht genutzt», so der Co-Direktor. «Wir nutzen die Biomasse und stellen daraus CO2 und H2 her, aber eben auch Pflanzenkohle. In dieser kann man ebenfalls sehr viel CO2 binden», erläutert der Jungunternehmer, der zusammen mit seinem Cousin Gauthier das hundertjährige Familienunternehmen leitet.  «Wir haben bereits zwei Nutzer dieses H2 in unmittelbarer Nähe von Glovelier, wo ein H2 -Cluster in zwei Zonen entstehen soll», so Corbat. «Das H2 wird über eine Niederdruck-Pipeline von etwa einem Kilometer zu den Abnehmern gebracht. Das Projekt läuft, aber es gibt noch einige Herausforderungen zu überwinden, bis alles 2026 umgesetzt ist.»

Gilles Verdan von Gaznat stellte den Multi-Energie-Komplex in Aigle VD vor. Quelle: CNG-Mobility.ch

Forschung mit Power-to-Gas-Anlage
In der Westschweiz tut sich nicht nur bezüglich konkreter Projekte einiges, sondern auch bei der Forschung. Hier spannten etwa der Energieversorger Gaznat und die ETH Lausanne zusammen. «Beim Projekt GreenGas testen wir neue Technologien in der Praxis», so Gilles Verdan von Gaznat. Im Multi-Energie-Komplex in Aigle VD produziert eine Power-to-Gas-Anlage über einen Elektrolyseur mit 450 kWe synthetisches Methan, das im April nun auch offiziell ins Netz eingespeist wird. «Wir haben letzten Herbst mit den Praxistests gestartet und können bei der Produktion 10 kg pro Tag an CO2  – und das ist neu – über eine Membrane abscheiden. In einer zweiten Etappe sollten es 45 kg pro Tag werden.» Die Power-to-Gas-Anlage stelle aber noch lange kein Plug-und-Play-Produkt dar. Verdan ergänzt: «Es braucht noch viel Unterhaltsarbeiten und Anpassungen. Das haben wir – ehrlich gesagt – etwas unterschätzt. Mit einer Membran hat man bereits 57 Prozent Reinheit erreicht, mit einer zweiten Membran sollten wir 90 Prozent schaffen.»

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Der grosse Vorteil: Dieser Membraneinsatz benötigt klar weniger Energie als herkömmliche Carbon-Capture-Methoden. «Der Treiber all dieser Entwicklungen und Projekte, ist jedoch der Strompreis – dieses Schicksal teilen wir mit allen anderen Projekten von heute. Daher wird es vielleicht sinnvoller sein, solche Anwendungen auch im Ausland zu realisieren», gesteht der Netzverantwortliche von Gaznat.

Gesamtversorgungs-Perspektive entscheidend
Dass es auf dem Weg zu einer wirksamen und bezahlbaren Dekarbonisierung nicht nur Projekte in der Schweiz und eben auch nicht nur ein Gas benötigt, machten am Schweizer Wasserstoff Kongress 2024 ausserdem die spannenden Podiumsgespräche mehr als deutlich. Daniela Decurtins vom VSG brachte es dabei auf den Punkt: «H2 muss immer im Kontext gesehen werden. Es braucht eine Gesamtversorgungs-Perspektive, da die Energieversorgung auch immer komplexer wird. Wichtig ist es, auch in Zukunft Optionen zu haben, selbst wenn wir heute nicht wissen, wie viel H2 wir 2040 benötigen, sollte man nicht voreilig die Infrastruktur zurückbauen oder einen Netzabbau vornehmen.» Es benötige eine gute Zusammenarbeit mit anderen Märkten und somit auch zwischenstaatliche Abkommen, wie zuletzt beim Gas mit Italien und Deutschland. Es müssten Handelsplätze für H2, synthetisches sowie erneuerbares Gas entstehen, aber auch Speichermöglichkeiten geschaffen werden.

Weiteres Podium mit Moderatorin Nathalie Randin, Yorick Ligen (GreenGT), Jérémie Brillet (Romande Energie), Pierre-Alain Kreutschy (Gaziers Romands) und Aline Clerc (Energiedirektorin Kanton Waadt) während des Kongresses (v.l.n.r.). Quelle: CNG-Mobility.ch

Daniela Decurtins unterstrich – wie viele weitere Referenten – wie wichtig die Anbindung an den europäischen Hydrogen Backbone sei. «Die Schweiz hat keine idealen H2-Produktionsbedingungen, daher wird es wichtig sein, dass wir die Transitleitungen und die Importmöglichkeiten für den grünen Wasserstoff schaffen. Wir haben eine ganze Fülle an Tools für den Markthochlauf von H2 zusammen mit der Stromindustrie vorgestellt und nun muss entschieden werden, welche davon man einsetzen will.» Daher ist es auch so wichtig, dass der Bund bald seine H2-Strategie vorstelle. «So wissen wir, in welche Richtung es gehen soll», ergänzt Laurent Scacchi, Direktor Westschweiz von aeesuisse, abschliessend. «Denn wir müssen auch Regulatorien haben, um Investitionssicherheit zu bekommen.» (jas, 5. April 2024)

Laurent Scacchi, Direktor Westschweiz von aeesuisse, konnte mit dem Schweizer Wasserstoff Kongress 2024 einen Erfolg verbuchen. Quelle: CNG-Mobility.ch

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