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Jens Andersen
 
 

«Es werden einseitig E-Fahrzeuge gefördert»

Technologie-Experte Jens Andersen spricht im Interview über den Stellenwert von CNG innerhalb des VW-Konzerns. Er erklärt, wieso der Einsatz von CNG nicht nur die günstigste Massnahme ist, CO2 zu reduzieren, sondern auch noch wirtschaftlich für den Automobilhersteller ist. Jens Andersen erkennt zudem aktuell keinen E-Boom, sondern hält diesen für herbeigeredet.

Jens Andersen

Jens Andersen, wie sind Sie zum Thema CNG gekommen? Sie haben ursprünglich ja Produktionsstätten in der Automobilindustrie geplant.
Jens Andersen, Technologie-Experte:
Tatsächlich begann ich meine Karriere als Experte für Fabrik- und Unternehmensplanung, unter anderem für Fertigungsstätten in den USA, China und Taiwan. Die Planung einer Fabrik beinhaltet immer vielfältige, strategische Unternehmensüberlegungen. Dazu gehören selbstverständlich auch produktstrategische Fragestellungen. Diesen habe ich mich bei der Volkswagen AG zu einem späteren Zeitpunkt besonders intensiv für Antriebssysteme gewidmet. Die Idee für einen CNG-Motor, den ich mir habe patentieren lassen, kam dann Anfang der 2000er-Jahre, als das Thema CO2-Emissionsreduzierung ein Thema wurde.

Seit wann befasst man sich bei Volkswagen mit dem Thema CNG?
Mindestens seit Ende der 1990er-Jahre wurde, nach meinem Kenntnisstand, an CNG-Motoren gearbeitet. Anfang der 2000er-Jahre brachte VW den Golf Variant BiFuel auf den Markt, damals noch auf der Basis eines 2,0-Liter-Saugmotors, auch «Eiserner Gustav» genannt. Der war äusserst robust, ging aber nicht sehr effizient mit Kraftstoff um. Er lief «wie eine dreibeinige Katze», nichtsdestotrotz war man durch den mit Methan befeuerten Motor ökologisch unterwegs.

Sie waren am Schluss Ihrer Karriere bei Volkswagen «Head of Group Technology Strategy» und «Group Officer CNG Mobility». Auf welchen Zeitraum hinaus plant ein Hersteller eine Antriebsstrategie?
Investitionen in Antriebsaggregate sind äusserst nachhaltig und haben eine lange Vorlaufzeit. Bevor ein neues Aggregat überhaupt für den Serieneinsatz freigegeben wird, gehen der Entscheidung mindestens zwei Jahre intensivster Vorentwicklung voraus. Anhand der Erkenntnisse wird dann eine Produktstrategie entwickelt. Ab Start des Serienentwicklungsprojektes dauert es etwa vier Jahre bis zum Start der eigentlichen Produktion. Danach verbleibt ein erfolgreiches Aggregat mindestens zwei Fahrzeuglebenszyklen im Programm, also mindestens acht Jahre, meistens länger. Ein Unternehmen wie der VW-Konzern überdenkt jedes Jahr seine produktstrategische Ausrichtung anhand der Marktentwicklungen und justiert Strategie- und Finanzplanungen entsprechend.

«Der Einsatz von CNG im PW und auch LKW ist nicht nur die günstigste Massnahme, CO2 zu reduzieren, sie ist auch noch wirtschaftlich für den Automobilhersteller.»

Welchen Stellenwert hatte CNG in Ihrer Zeit beim VW-Konzern?
Der Stellenwert von CNG war gewissen Schwankungen unterworfen. Während unter den Antriebsexperten weitestgehend Einigkeit herrschte und auch heute noch herrscht, dass Methan als Kraftstoff für die Verbrenner klare ökologische und auch ökonomische Vorteile bietet, bezogen die verschiedenen Vorstandsvorsitzenden wechselnde Positionen. Dem einen war Methan unter 200 bar Druck schlicht zu suspekt. Dem anderen war der ökologische Vorteil klar und die Sympathie überwog. Der nächste hatte eine ganz andere Mission, zu der CNG nicht passte. Fakt ist: Der VW-Konzern hat am Ende die besten CNG-Antriebe auf den Markt gebracht – allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz.

Sie gaben Ihren Job nach knapp zwei Jahren auf – warum?
Das Thema CNG hatte mit meinem Ausscheiden aus dem VW-Konzern nichts zu tun. Ich war knapp 28 Jahre mit Begeisterung für VW auf verschiedenen Positionen tätig und wäre das auch weiter geblieben, aber besondere Gründe sprachen dagegen. Ich beschreite gerne neue, auch unkonventionelle Wege, wenn sie Sinn machen. Darin werde ich mir selbst immer treu bleiben, deshalb zog ich die Konsequenzen.

Aufgrund unterschiedlicher Äusserungen aus dem und von ausserhalb des VW-Konzerns ist momentan nicht wirklich klar, was dessen Strategie beim Thema CNG ist. Können Sie aufgrund Ihrer nach wie vor sicher sehr guten Kontakte etwas Licht ins Dunkel bringen?
Zunächst einmal setzt der VW-Konzern sowohl, was das Produktportfolio an CNG-Fahrzeugen, als auch, was die eingesetzte Technik angeht, weiterhin den Massstab. Da kann kein anderer Konzern mithalten. Hinzu kommt das Investment von Audi in eine Power-to-Gas-Anlage oder das Biomethan-Projekt von Seat mit Abwasser als Rohstoff. Der VW-Konzern steht, was CO2-reduzierte CNG-Mobilität mit den Verbrennern angeht, einsam an der Spitze.

Wird das seitens der Politik honoriert?
Nein, das batterieelektrische Fahrzeug, das sogenannte BEV, erfährt eine einseitige Förderung. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass man bei VW auf der Vorstandsebene rational darüber entscheiden muss, wie man seine Ressourcen in diesen Zeiten des Umbruches einsetzt.

Jens Andersen

Sie sind europaweit, vielleicht sogar weltweit einer der prominentesten Verfechter der CNG-Technologie. Weshalb?
Ich kam in meiner doch recht langen Laufbahn in der Automobilindustrie und speziell beim Thema Antriebe zu zwei wirklich fundamentalen Erkenntnissen: 1. Technologische Dogmen sind nicht von Dauer. Sie werden von betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten eingeholt. Ich habe es selbst erlebt, dass Eitelkeiten entscheidungsrelevant waren und entgegen ingenieurwissenschaftlicher Expertise entschieden wurde. Diese Produkte hatten eine kurze Halbwertszeit. 2. Es bedarf eines intensiven technischen Wettbewerbs innerhalb eines grossen Unternehmens, um das maximal Mögliche zu erreichen und darüber Wettbewerbsüberlegenheit. Mit CNG habe ich mich an der technisch-betriebswirtschaftlichen Schnittstelle über Jahre intensiv auseinandergesetzt. Die Faktenlage war eindeutig: Der Einsatz von CNG im PW und auch LKW ist nicht nur die günstigste Massnahme, CO2 zu reduzieren, sie ist auch noch wirtschaftlich für den Automobilhersteller. Diese Erkenntnis, die ich immer wieder für mich selbst überprüfe, indem ich mir ingenieurwissenschaftlichen Rat bei absoluten Experten auf diesem Gebiet einhole, treibt mich massgeblich an.

Können Sie sich erklären, weshalb sich die CNG-Technologie im Gegensatz zur E-Mobilität bisher nie richtig durchgesetzt hat?
Es gibt aus meiner Sicht drei wesentliche Gründe hierfür: 1. CNG ist als derzeit umweltfreundlichster, verbrennungsmotorischer Kraftstoff in der breiten Bevölkerung überhaupt nicht bekannt und wird zudem mit dem Flüssiggas LPG verwechselt. 2. Die tatsächlichen Kostenvorteile sind der Bevölkerung aufgrund nicht vergleichbarer Preisauszeichnungen in Kilo statt Liter an den Tankstellen ebenfalls nicht bekannt. 3. Die europäische Politik hat sich quasi diktatorisch auf E-Mobilität als den alleinigen Antrieb der Zukunft festgelegt und handelt entsprechend.

 «CNG ist als derzeit umweltfreundlichster, verbrennungsmotorischer Kraftstoff in der breiten Bevölkerung überhaupt nicht bekannt und wird zudem mit dem Flüssiggas LPG verwechselt.»

Anders gefragt: Warum haben wir seit einiger Zeit einen E-Boom und keinen CNG-Boom?
Einen E-Boom sehe ich nicht, er wird allenfalls herbeigeredet, weil es opportun ist, für E-Mobilität zu sein. Das hat teilweise schon religiöse Züge. Die Faktenlage sieht hingegen folgendermassen aus: Die europäische CO2-Emissionsgesetzgebung bevorteilt den elektromotorischen Antrieb durch den Fokus auf die Tailpipe-Emissions massiv. Daher fliesst ein E-Fahrzeug mit 0 g CO2/km in die Flottenemissionsberechnung des Herstellers ein. Auch bei einem Plug-In-Hybriden fliesst die elektromotorisch gefahrene Strecke im Testzyklus mit 0 g CO2/km ein. Dadurch ergeben sich rein rechnerisch sagenhafte Emissions- und Verbrauchswerte für diese Fahrzeuge. Das ist fern der Realität. Daher forcieren die Automobilhersteller den Einsatz von BEV trotz deren miserabler Ergebnissituation. Gegenfinanziert wird dies mit den herausragenden Erträgen von verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen des Premiumsegments und mit staatlichen Förderungen, also Steuergeldern.

Was macht Sie optimistisch, dass die Zeit von CNG noch kommt?
Optimismus ist angesichts der Rahmenbedingungen derzeit gar nicht angebracht, zumindest für PW. Anders sieht es bei den Nutzfahrzeugen aus. Hohe Lasten und lange Strecken lassen sich noch für einen langen Zeitraum nicht batterieelektrisch abdecken. Daher gibt es derzeit auch in Deutschland einen starken Trend hin zu LNG-LKW, also Antrieb mit verflüssigtem Erdgas. Dem könnte für den Transportsektor im Nahverkehr der CNG-Antrieb folgen. Zudem erwägt die EU bei der Bewertung der CO2-Emissionen von LKW – anders als bei den PW – die Berücksichtigung der vorgelagerten Prozesse für den genutzten Energieträger. Ich bin daher besonders für den Gütertransport recht optimistisch, dass es gelingt, hier Diesel endlich als Kraftstoff zu ersetzen. Ein längst überfälliger Schritt. Zumal die Menge an verfügbarem regenerativ erzeugtem Methan ausreichend ist, um den Verbrauch an importiertem, fossilem Diesel signifikant herunterzufahren und dem Klimaschutz damit zu helfen. (kro, 2. April 2020)

Lesen Sie auch den zweiten Teil des Interviews: «Man sollte das gesamte fossile Gas durch Biogas ersetzen»

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